Gastbeitrag vom 30.5.2018: „Natürlich gieng’s ja no …“

Liebe Einwohner von Birrwil

Am 8. Juni 2018 (anm. Berbuer: neu stimmen wir am Donnerstag, 15. November, darüber ab) dürfen sie an der Gemeindeversammlung unter dem Traktandum 7 über einen Projektierungskredit für einen Schulhausneubau abstimmen und damit die Weichen für eine moderne, zeitgemässe Schulinfrastruktur in Birrwil stellen.

Ich darf leider an dieser Abstimmung nicht teilnehmen, denn ich wohne nicht in ihrer Gemeinde. Trotzdem bin ich als Klassenlehrer der 4. – 6. Primar von den Auswirkungen des Abstimmungsergebnisses mit unter am stärksten betroffen.

Als quasi Hausherr im alten, ehrwürdigen, kleinen Schulhaus unterrichte ich die Mittelstufe seit nunmehr vier Jahren.

Natürlich gieng’s ja no …

Durch die Umnutzung der Garderobe in einen Gruppenraum können mehrere Klassen gleichzeitig unterrichtet werden. Die Installation einer provisorischen Klimaanlage ermöglicht einen vernünftigen Unterricht auch in den ganz heissen Sommerwochen, den Nachteil, das dafür ein Ventilator im Mädchen-WC heiss läuft, können wir in Kauf nehmen und die kalten und meist recht feuchten Gänge im Winter führen vermutlich nicht zu mehr Grippefälle als an anderen Schulen. An schönen Morgen scheint die Sonne aus Osten genau in unser Klassenzimmer. Leider sind die total veralteten Sonnenstoren nicht mehr wirklich funktionsfähig. Beim Film über die ägyptische Hochkultur können wir nur knapp die Umrisse erkennen, weil sich der Raum nicht vollständig verdunkeln lässt, dafür brennen die meiste Zeit die Lampen, weil die kleinen Fenster dann doch nicht wieder so viel Licht hereinlassen, dass man von hinten sehen könnte, was der Lehrer vorne an die Wandtafel schreibt.

Natürlich gieng’s ja no …

Das kleine, behagliche Schulzimmer beherbergt jetzt drei Klassen – integrativ geführt, was nichts anderes heisst, als das nebst dem Kassenlehrer und teilweise bis zu 23 Schülerinnen und Schüler auch noch eine Heilpädagogin, eine Assistenz und zeitweilig ein Senior im Klassenzimmer sind, jeder mit einer anderen Aufgabe betraut und jeder mit einer anderen Schülergruppe unterwegs. Der niedrige Raum lässt dabei kaum ein Gespräch zu, geschweige denn eine Diskussion, ohne dass nicht die anderen Gruppen massiv gestört werden.

Natürlich gieng’s ja no …

Der neue Lehrplan 21 stellt die Schule vor neue Herausforderungen – auch im Bereich der Infrastruktur. Reine Wissensvermittlung wird verknüpft mit dem Erlernen von Kompetenzen. Dies geht nur, wenn Schülerinnen und Schüler forschen, experimentieren und ausprobieren können, wenn sie sich in Diskussionen eine eigene Meinung bilden und das Gelernte reflektieren können. Das aber benötigt Raum, das bedingt eine moderne Infrastruktur mit Gruppenräumen, wo man sich zur Diskussion zusammenfinden kann. Auch im technischen Bereich sind wir trotz Tablets nicht wirklich gut aufgestellt. Moderner Unterricht sieht heute anders aus.

Natürlich gieng’s ja no …

Aber eigentlich geht es nicht mehr.  Nicht nur, dass die Kinder mehrmals am Tag die Strasse überqueren müssen um in die Pause oder ins Turnen zu kommen. Und dass es nicht möglich erscheint, rund um das Schulgelände eine 30er-Zone einzurichten zum Schutz der Schülerinnen und Schüler macht die Sache auch nicht einfacher. Ich benötige zu viele Ressourcen im täglichen Ärger über Raumknappheit, mangelnde Einrichtungen, unzweckmässige technische Hilfsmittel, kaputte und nicht mehr funktionsfähige Infrastruktur. Diese Ressourcen fehlen dann beim Unterricht mit den Kindern. Das ist doch schade und bewegt mich wiederum zum Nachdenken auch in Zeiten, wo ich mich eigentlich erholen sollte.

Nein, es geht nicht mehr!

Liebe Einwohnerinnen und Einwohner von Birrwil, mit einem überzeugenden Ja zum Projektierungskredit und später zum Baukredit für das neue Schulhaus geben sie den Kindern aus Birrwil und uns als Lehrerschaft in diesem Dorf ein modernes, zweckmässiges Zuhause, das den hohen Anforderungen an die heutige Schule gerecht wird.  Ich werde mich freuen, dort zu unterrichten und werde stolz sein, Lehrperson in einem so modernen, tollen Schulhaus sein zu können.

René Bliggensdorfer
Primarlehrer Mittelstufe
Dorf 14
5708 Birrwil
 

2 Gedanken zu “Gastbeitrag vom 30.5.2018: „Natürlich gieng’s ja no …“

  1. Hat dies auf Titel der Website rebloggt und kommentierte:
    es ist schon traurig, dass sich schliesslich noch der lehrkörper unserer gemeinde verpflichtet fühlt, unser neu- resp. umbauprojekt
    „schule 21“ einsetzen muss.
    der gemeinderat soll endlich diesem projekt, welches bis dato bereits 2 jahre in verzug ist, die dringend notwenige höchste priorität zuordnen die verpflichtung gegenüber unseren jüngsten einwohnerinnen und einwohner muss im vordergrund stehen!

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  2. Ja es ist auf kurze Sicht sehr schön einen tiefen Steuerfuss zu haben und hiermit, sowie mittels architektonisch meisterhaften Neubauten, den Zürcher Geldadel nach Birrwil zu locken.
    Aber wie der gelernte Aargauer weiss ist der Zürcher ja ein armer Ausländer und Ausländer müssen integriert werden. Wie also findet Integration statt? Nur über die Bildung!
    Der gemeine Ausländer spricht ja sonst daheim mit seinen Kindern nur den Zürcher Dialekt, weshalb die Nachkommen Probleme im Alltag haben, wenn sie nicht in der Schule die Sprache Ihres Heimatkantons verstehen lernen.

    Daher: ein generelles JA zu Schule Birrwil…aber muss da wirklich neues Geld in die Hand genommen werden?

    Natürlich gieng’s ja no …

    Ja es ist schön der Nostalgie zu frönen und am Overheadprojektor Folien der 80er und 90er zu betrachten an die erste Jugendliebe zu denken und dabei mit dem Smartphone ein Andenken zu knipsen. Falls mal eine Projektorlampe ausfallen sollte gibt es in den Archiven des Winterthurer Technorama bestimmt Ersatz.

    Natürlich gieng’s ja no …

    Früher gabs so schöne weisse Weihnachten und im Sommer wars im Schulhaus auch erträglich. Eine Klimaanlage war damals undenkbar und etwas Schwitzen ist ja auch gesund (ausser im eigenen Auto), daher wird es reichen im Sommer ein paar Fenster zu öffnen.

    Natürlich gieng’s ja no …

    Fehlende Schulmittel haben früher die engagierten Lehrer selbst geschnitzt oder durch die Macht der Vorstellungskraft vermittelt. Wer hätte den früher das Geld gehabt z.B. die Landkarten dauernd neu zu kaufen. Ob da die DDR, die Tschechoslowakei oder gar das Deutsche Reich noch zu sehen war, hier wurde der Geografieunterricht gleich mit Geschichte fächerübergreifend kombiniert.

    Nein, es geht nicht mehr!

    Schmäh ohne!

    Wer motivierte Lehrer nach Birrwil locken will muss Ihnen einen adäquaten Arbeitsplatz zu Verfügung stellen – gerade in Zeiten des Lehrermangels

    Wer ein attraktiver Ort für Zuzügler sein möchte muss seine Infrastruktur auf dem Stand des 21. Jahrhunderts bringen.

    Wer die Schule als Ort der Freude und der Kreativität versteht muss die entsprechenden Rahmenbedingungen schaffen.

    Daher: Viel Erfolg bei der Abstimmung, auch um Ihrer Gesundheit willen!
    Denn, wie schon der Dalai Lama sagte: „Alles Leiden kommt aus Nichtwissen.“

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